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Liebe Leser:innen, willkommen zur April-Ausgabe von Spotlighting Museums zum Thema Game Thinking! In dieser Ausgabe gibt Ihnen Christoph Brosius, der diesjährige Kurator des Programms „Das relevante Museum“ Einblick in die erste Impulssession mit Philipp Zupke.
Game Thinking ist das Thema des Jahrgangs 2024 für Das relevante Museum. Wir werfen dabei gemeinsam einen tiefen Blick in die Werkzeugkiste der Game Designer. Die Frage: Welche der Tools und Methoden, die Games so ungemein ansprechend machen, können auch im Kontext Museum zur Anwendung kommen?
Die Teilnehmenden haben zuerst eine grundlegende Übersicht der wichtigsten Werkzeuge erhalten, bei der wir uns vor allem am Octalysis Modell von Yu-Kai Chou orientiert haben. Von Naheliegendem, wie der Nutzung von Fortschrittsbalken, Punkten und Belohnungen, sind wir dabei auch auf kontroverse Methoden gekommen. Darf ein Museum auch künstliche Verknappung, Kunstpausen oder ein FOMO Gefühl für sich nutzen? Schnell wurde klar: In diesem Werkzeugkoffer liegen auch Tools, die man mit großer Achtsamkeit einsetzen sollte, wenn überhaupt.
Innerhalb der Spieleindustrie selbst hat vor allem ein Bereich sich mit überragendem Erfolg aus dem kompletten Werkzeugkoffer bedient. Laut dem GAME Bundesverband wurden 2023 fast die Hälfte aller Umsätze mit Ingame- oder In-App-Käufen erzielt, immerhin 4,74 Milliarden Euro. Von den Umsätzen, die dabei auf Mobile Games entfielen, sticht die Gruppe der sogenannten Free-to-Play Games massiv hervor. 98% aller Umsätze in diesem Segment entfallen auf solche Spiele, die kostenlos rezipiert werden können auf Smartphones und Tablets.
Wie genau schaffen es Unternehmen wie King, Supercell und Wooga, mit Games wie Candy Crush, Clash of Clans und June‘s Journey ein Millionenpublikum über Wochen, Monate und sogar Jahre anzusprechen und dafür zu sorgen, dass am Ende ca. 5% der Spielenden auch noch Geld ausgeben? Um dieser Frage nachzugehen haben wir für die erste Impulssession dieses Jahres Philipp Zupke gewinnen können.
Philipp ist Absolvent des Game Design-Studiums an der HTW Berlin und hat sein Handwerk im Bereich des Free-to-Play Game Designs bei Wooga in Berlin von der Pike auf gelernt. Seitdem hat er vielfältige Projekte betreut, angefangen von Konsolen- über PC- bis hin zu VR-Spielen. Als Berater unterstützt er weltweit Teams dabei, das Beste aus ihren Spielen herauszuholen, ihren Markt zu verstehen und dennoch kreativ und mutig zu agieren.
In seinem Impuls für das relevante Museum am 23. April 2024 hat er in einer gekonnten Mischung aus Anregung, Transferfragen und Reflexionsraum einen sehr tiefen Einblick in seinen Werkzeugkoffer gegeben. Den Anfang hat eine Einführung in das Free to Play Geschäftsmodell gemacht, dass im Sturm die Spieleindustrie erobert und komplett auf den Kopf gestellt hat. Wir lernen: Diese Spieleentwickler denken nicht in Klicks und Spaß pro Minute. Ihr Ziel ist, dass der Life Time Value, die Menge an Umsatz im Spiel, größer ist als der CPI, den Werbungskosten pro neuer Installation des Spiels. Alles fällt und steht dabei mit einer weiteren wirkmächtigen Zahl: Der Retention, also der Dauer, für die Spielende in der App gehalten werden können, bevor sie wieder aufhören um etwas anderes mit ihrer Zeit zu machen.
Langsam wird klar: es geht viel um den Faktor Zeit. Nicht von null auf hundert entstehen begeisterte Fans, sondern in vielen kleinen Schritten. Angelehnt an das Hooked Modell von Nir Eyal erklärt Philipp, dass es um drei Stufen gehe:
Hook: Bereits die erste Spielsession muss so überzeugend sein, dass man den Haken geschluckt hat und wie der Fisch an der Angel hängt.
Habit: Jetzt geht es darum gekonnt zu stimulieren, dass mehrfach täglich das Spiel geöffnet wird. Aus einem ersten Impuls wird ein gelerntes Verhalten.
Hobby: Durch fortlaufende Anpassungen, Neuerungen und Erweiterungen wird das Spiel zum Bestandteil des Lebens der Spielenden.
Damit diese drei Hs auch verfangen können, zeigt er auf, mit welcher kleinteiligen Mühe einzelne Änderungen im Soft Launch wieder getestet werden, bevor sie in der vollen Breite ausgerollt und allen Spielenden zur Verfügung gestellt werden. Gleichzeitig weist er darauf hin, mit welchem Fingerspitzengefühl immer neue Bedürfnisse befriedigt werden können, ohne dabei den harten Kern zu vergraulen. Sein Impuls: Lerne so viel über deine Nutzenden, wie es nur irgendwie geht. Dazu zählt dann auch insbesondere eine Kenntnis über die verschiedenen Geschmacksprofile. Erst wer diese Motivationstypen kenne, sei in der Lage auch zielgerichtet für diese Angebote zu entwickeln. „Als ich aus dem Louvre gekommen bin hat mich leider niemand gefragt, was ich gut fand und was nicht. Schade – sie hätten von mir viel hören können.“ erinnert sich Philipp.
Philipp hat aufgezeigt, dass es nicht nur den einen Käufertypen gibt, der am Ende in solchen Spielen Geld ausgibt. Das differenzierte Betrachten, das Anpassen der Angebote an die jeweiligen Bedürfnisse und vor allem das ethische Hantieren mit Werkzeugen zur Beeinflussung war ein großer Diskussionspunkt. Geht das überhaupt in so einem Modell „fair“ Geld zu verdienen?
Im letzten Teil ging es dann noch mal genauer um die Prozesse und Abläufe. Auch hier lernten wir viel über ein sehr sorgsames, bedachtes und phasenweises Vorgehen, damit das Risiko falsche Entscheidungen zu treffen bestmöglich reduziert werden kann. Und immer wieder geht es um das Messen von Wirksamkeiten, bis fast der Eindruck entsteht, dass diese Games Entwickler im Live Betrieb mehr Statistiker und Analysten beschäftigen, als kreative Game Designer.
„Es ist beeindruckend wie lange sich für die Entwicklung dieser Games Zeit genommen wird. Ein Museum kann es sich zum Beispiel meist nicht leisten, dass in einem Soft Launch eine Ausstellung getestet wird, bevor man sie komplett eröffnet.“
Andrea Fuest, Kunsthalle Kiel
Nachdenklich und leicht verblüfft rattert bei allen Teilnehmenden der Kopf, denn vor lauter Games haben sie mit einem Impuls nicht gerechnet: Ist das relevante Museum vielleicht ein Museum, dass in Zukunft viel mehr von Key Performance Indikatoren getrieben ist? Michael Stockhausen von der Kunsthalle Wilhelmshaven brachte es in der lebendigen Diskussion im Nachgang auf den Punkt: „Free-to-Play Games clashen mit vielen Überzeugungen in Kunst und Kultur. Aber es zeigt neue Möglichkeiten auf: Wie können wir eine Bindung zu unseren Besuchenden aufbauen, die auch noch lange über die Ausstellungsdauer hinausgeht?“
Vielen Dank, Christoph für den spannenden Einblick! Im Juli geht’s weiter mit der zweiten Impulssession mit Abraham Burickson, wo wir ins Experience Design eintauchen und über Ein-Personen-Erlebnisse sprechen werden.
Interessantes: Die MFG Medien- und Filmgesellschaft Baden-Württemberg mbH hat kürzlich einen Artikel veröffentlicht, warum es sich für Museen und Kultureinrichtungen lohnen kann, sich mit Gaming und VR zu beschäftigen. Ausserdem findet am 7.5.2024 die Preisverleihung für den DigAMus Award statt. Dann werden die besten Digital-Projekte der Museen ausgezeichnet. Hier geht es direkt zur Shortlist 2024 und damit zu vielen interessanten Projekten.
Wir sind gespannt darauf, was die weiteren Entwicklungen bringen werden!
Herzliche Grüsse,
Christine Müller Stalder
Stiftung für Kunst, Kultur und Geschichte
Spotlighting Museums vol. 37
Game Thinking - Tools for museums?
English Version
Dear readers, welcome to the April issue of Spotlighting Museums on the topic of Game Thinking! In this issue, Christoph Brosius, this year's curator of the "The Relevant Museum" programme, gives you an insight into the first impulse session with Philipp Zupke.
Game Thinking is the theme of the X of the Relevant Museum year 2024. Together, we will take a deep dive into the game designer's toolbox. The question is: Which of the tools and methods that make games so incredibly appealing can also be used in the museum context?
The participants first received a basic overview of the most important tools, which we based primarily on Yu-Kai Chou's Octalysis model. We went from the obvious, such as the use of progress bars, points and rewards, to controversial methods. Can a museum also utilise artificial scarcity, art breaks or a FOMO feeling? It quickly became clear that this toolbox also contains tools that should be used with great caution, if at all.
Within the games industry itself, one sector in particular has made use of the complete toolbox with outstanding success. According to the GAME Bundesverband, almost half of all sales in 2023 were generated with in-game or in-app purchases, totalling 4.74 billion Euros. Of the revenue generated by mobile games, the group of free-to-play games stands out massively. 98% of all revenue in this segment is generated by games that can be played for free on smartphones and tablets.
How exactly do companies such as King, Supercell and Wooga manage to appeal to an audience of millions for weeks, months and even years with games such as Candy Crush, Clash of Clans and June's Journey and ensure that around 5% of players end up spending money? To explore this question, we were able to win Philipp Zupke for this year's first impulse session.
Philipp is a graduate of the Game Design programme at HTW Berlin and learnt his trade in the field of free-to-play game design from scratch at Wooga in Berlin. Since then, he has worked on a wide range of projects, from console and PC games to VR games. As a consultant, he supports teams worldwide in getting the best out of their games, understanding their market and still acting creatively and boldly.
In his impulse for the ”Relevant Museum” on 23rd April 2024, he gave a very deep insight into his toolbox in a skillful mixture of inspiration, transfer questions and room for reflection. He began with an introduction to the free-to-play business model that has taken the games industry by storm and turned it completely on its head. We learnt that these game developers don't think in terms of clicks and fun per minute. Their goal is that the Life Time Value, the amount of revenue in the game, is greater than the CPI, the advertising costs per new installation of the game. Everything depends on another powerful figure: retention, i.e. the length of time that players can be kept in the app before they stop and do something else with their time.
It's slowly becoming clear that a lot is about the time factor. Enthusiastic fans are not created from zero to one hundred, but in many small steps. Based on Nir Eyal's Hooked model, Philipp explains that there are three stages:
Hook: The very first game session must be so convincing that you have swallowed the bait and are hooked like a fish.
Habit: Now it's all about skillfully stimulating the game to be opened several times a day. An initial impulse becomes a learned behaviour.
Hobby: Through continuous adaptations, innovations and extensions, the game becomes part of the player's life.
In order for these three Hs to catch on, he shows the painstaking effort that goes into testing individual changes in the soft launch before they are rolled out in full and made available to all players. At the same time, he points out the sensitivity with which new needs can always be satisfied without alienating the hard core. His suggestion: learn as much about your users as possible. This includes, in particular, knowledge of the profile of different tastes. Only those who know these types of motivation will be able to develop targeted offers for them. "When I came out of the Louvre, nobody asked me what I liked and what I didn't like. What a shame - they could have heard a lot from me," Philipp recalls.
Philipp showed that there is not just one type of buyer who ends up spending money in such games. Taking a differentiated view, adapting the offers to the respective needs and, above all, the ethical use of tools for influencing was a major point of discussion. Is it even possible to earn money "fairly" in such a model?
In the last part, we looked more closely at the processes and procedures. Here, too, we learnt a lot about a very careful, considered and phased approach so that the risk of making the wrong decisions can be reduced as much as possible. And again and again, it's all about measuring effectiveness, to the point where it almost seems that these games developers employ more statisticians and analysts in live operation than creative game designers.
„Es ist beeindruckend wie lange sich für die Entwicklung dieser Games Zeit genommen wird. Ein Museum kann es sich zum Beispiel meist nicht leisten, dass in einem Soft Launch eine Ausstellung getestet wird, bevor man sie komplett eröffnet.“
Andrea Fuest, Kunsthalle Kiel
Thoughtful and slightly perplexed, all the participants' heads rattled, because they hadn't expected one impulse from all the talk about games: Is the Relevant Museum perhaps a museum that will be driven much more by key performance indicators in the future? Michael Stockhausen from the Kunsthalle Wilhelmshaven put it in a nutshell in the lively discussion afterwards: "Free-to-play games clash with many beliefs in art and culture. But it opens up new possibilities: How can we build a bond with our visitors that lasts long after the exhibition has ended?" (translated)
Thank you, Christoph, for the exciting insight! In July we will continue with the second impulse session with Abraham Burickson, where we will dive into experience design and talk about one-person experiences.
Incidentally, MFG Medien- und Filmgesellschaft Baden-Württemberg mbH recently published an article on why it can be worthwhile for museums and cultural institutions to get involved with gaming and VR. In addition, the DigAMus Award ceremony will take place on 7 May 2024. The best digital projects from museums will be honoured. Click here to go directly to the 2024 shortlist.
We are excited to see what further developments will bring!
Best wishes,
Christine Müller Stalder
Stiftung, für Kunst, Kultur und Geschichte (SKKG)