Spotlighting Museums, vol. 39
Experience Design – Museen als Orte der Transformation – Museums as spaces of transformation
Please find the English Version below
Liebe Leserinnen und Leser, willkommen zur Juni-Ausgabe von Spotlighting-Museums. Der diesjährige Kurator des Programms „Das relevante Museum“ Christoph Brosius gibt einen weiteren Einblick in Tools des Game Thinking, die sich auf Museen und Kulturinstitutionen übertragen lassen.
Im ersten Impuls dieses Jahres hat uns Philipp Zupke erklärt, wie Free-to-Play Games ein Millionenpublikum erreichen. Der zweite Impuls am 6. Juni ging genau in das andere Extrem: Wie gestaltet man die optimale Erfahrung für ein Publikum, das nur aus einer Person besteht? Ganz praktisch kam mir diese Frage beim Studium der existierenden Angebote der teilnehmenden Häuser im relevanten Museum. Schon jetzt gibt es zum Beispiel spezielle Programme für Kindergeburtstage – ausgelegt für eine Gruppengröße ab einer Person. Das hat mich stutzig gemacht. Wie genau feiert denn ein einzelnes Kind den eigenen Geburtstag, wenn es allein mit Papphut auf dem Kopf eine Kerze ausbläst? Wie müsste so ein Angebot gestaltet sein, damit es nicht der einsamste, sondern der vielleicht erinnerungswürdigste Geburtstag werden kann?
Einer ähnlichen Frage hat sich bereits 2001 unser Impulsgeber Abraham Burickson gestellt. Als gelernter Architekt und Poet hat er sich gemeinsam mit Freunden gefragt, warum KünstlerInnen immer dieses Ideal reproduzieren, dass man schon zufrieden sei, wenn man mit dem eigenen Werk zumindest einen Menschen im Publikum erreichen und berühren würde. Warum dann nicht gleich das Publikum auf nur eine Person reduzieren und alles daransetzen, dass das Erlebnis optimal für diesen Menschen wird? Im Ergebnis wurde Abraham Mitgründer und künstlerischer Leiter des Kollektivs Odyssey Works. In seinem TEDx Talk erklärt Abraham, warum er seither mehr an die Kraft einer Experience, statt an die eines Gegenstands oder Werks glaubt.
Die Arbeiten des Künstlerkollektivs, sogenannte Experiences, mit einer Dauer von Tagen, Wochen oder auch mal Monaten, erinnern im ersten Moment sehr an den nur 4 Jahre älteren Film The Game (1997) mit Michael Douglas. Mit einem extrem detaillierten Fragebogen bewerben sich Menschen dafür, dass sie eine Experience gestaltet bekommen und geben dabei einen tiefen Einblick in ihr eigenes Leben. Was folgt, wenn eine teilnehmende Person ausgewählt wurde, ist eine extensive Recherche, in der die liebsten Bücher des Menschen gelesen, die Lieblingssongs gehört und Angehörige sowie Freunde interviewt werden. Dieser einfühlsame Einblick in ein fremdes Leben, durch persönliches Erleben, Beziehungsaufbau und Einbeziehung von Menschen zur direkten Teilhabe, ist eines der Geheimrezepte der gelungenen Arbeiten des Kollektivs. Erst dadurch wird spürbar, welche künstlerischen Interventionen die richtigen sind. Ein nur für den einen Menschen geschriebenes Buch? Ein Privatkonzert wie bei den 1:1 CONCERTS? Ein bestimmter Ort oder eine bestimmte Person, die erlebt werden sollte? Immersives Theater, wie bei Punch Drunk, oder eher ein Spiel? Im Laufe der Jahrzehnte ist Odyssey Works das Ziel, den einen Menschen wirklich zu erreichen, immer besser gelungen. Teilnehmende waren nicht nur gerührt, sondern haben oft sogar drastische Änderungen in ihrem Leben vorgenommen. Jobwechsel, Ortswechsel und Partnerwechsel sind einige der Belege für die Kraft einer solchen Experience, die wahrhaft transformativ sein kann.
Heute beschreibt man Experience Design als eigenständige Gestaltungsdisziplin, die ein Stück des Lebens von einem Menschen fokussiert, statt dem reinen Ermöglichen von Funktionen oder dem Lösen von Problemen. Deshalb geht es zum Beispiel nicht um UX (User Experience Design), wo der Fokus in der Regel auf Interfaces und den von ihnen begünstigten Verhaltensweisen liegt. Weil man im Experience Design aber nicht wissen kann, wie ein Mensch im jeweiligen Kontext das Erlebnis aufnehmen wird, kann man nur ein Angebot mit unsicherem Ausgang machen. Es werden lediglich die Umstände geschaffen, dass eine Erfahrung passieren kann. In seinem neuen Buch Experience Design – A Participatory Manifesto beschreibt Abraham, was nach seiner über 20-jährigen Erfahrung die Eckpfeiler der gelungenen Gestaltung von Experiences sind. In seinem Impuls für das relevante Museum hat er uns einen kurzen Einblick in diese Arbeitsweise gegeben, weil er zutiefst davon überzeugt ist, dass auch jedes Museum so eine transformative Erfahrung ermöglichen kann.
Als Architekt beschreibt er den Anfang eines Projektes (Phase Zero) als die Suche nach der Zielklärung. Statt zu fragen was für ein Haus jemand bauen möchte, solle man doch besser ergründen, was für ein Leben Bauherren in diesem Haus hoffen führen zu können. Statt also schon eine fixe Form (wie zum Beispiel ein konkretes Medium wie Film) zu setzen und danach den Content (die Story) zu suchen, solle man zuerst fragen, was für eine Experience man ermöglichen wolle. Diese könne dann eine Geschichte benötigen und diese könnte zum Beispiel gut in einen Film passen. Form follows function.
Abraham spricht über die Notwendigkeit der Lenkung der Aufmerksamkeit und nutzt das Bild des Rahmens. Wie die Rahmung beim Gemälde den Fokus auf das Werk richtet, so brauchen Menschen klare Appelle und Rollen, damit sie sich als Teil der Erfahrung verstehen. Diese kann dann unterschiedliche Grade der Immersion haben. Von der rein physikalischen, weil ich zum Beispiel im Museum bin, über die psychologische, weil mich Exponate anregen, bis hin zu einer ontologischen Immersion: Eine spirituelle oder inhaltliche Ergriffenheit, welche die Chance zur Transformation von Bedeutung hat.
Um dieses hohe Ziel zu erreichen greift er in die volle Palette des World Buildings und des Narrative Designs. Als Grundstruktur blitzt immer wieder die Hero’s Journey durch, die vor allem eins verlangt: einen klaren Übergang aus der bekannten in die unbekannte Welt der Experience. Diese andere Welt beschreibt er mit der Eventness, der Erlebnishaftigkeit, in unter anderem diesen Aspekten: Ist der Ort und die Reise dorthin definiert? Ist die zeitliche Abfolge der Ereignisse strukturiert und auf einen memorablen Moment ausgerichtet? Ist geklärt was man tun darf, wie das Stehen bei Beerdigungen und dem Tanzen auf Festen? Und nicht zuletzt: Gibt es Zeugen, die mein Erlebnis beobachten und mitfühlen können?
In Gedanken stelle ich mir wieder das Kind vor, das allein seinen Geburtstag im Museum feiert – doch jetzt stehe ich daneben. Gemeinsam mit allen anderen Teilnehmenden frage ich mich: Wie müsste ein Museum Angebote gestalten, damit man eine Experience haben kann, die so stark ist, dass sie ein Leben verändern kann?
Vielen Dank, Christoph, für das spannende Gedankenexperiment! Wenn Sie sich über Experience Design und mögliche Antworten auf die gestellten Fragen austauschen möchten, kontaktieren Sie uns gerne.
Ich freue mich sehr darauf, Ihnen in der nächsten Ausgabe des Spotlighting Museums Newsletter vom Projekt „Museum Development Goals“, welches einen Beitrag zur Wirkungsmessung im musealen Kontext leisten will, zu berichten.
Mit diesen Aussichten wünsche ich Ihnen einen schönen Sommer!
Herzliche Grüße
Sandra Richter
NORDMETALL-Stiftung
Dear reader, welcome to the June issue of Spotlighting Museums. This year's curator of the "The Relevant Museum" programme, Christoph Brosius, shares another insight into game thinking tools that can be applied to museums and cultural institutions.
In this year's first impulse, Philipp Zupke explained how free-to-play games reach an audience of millions. The second impulse on June 6th explored the other extreme: How do you create the optimal experience for an audience consisting of just one person? In practical terms, this question came to me when studying the existing programmes offered by the participating museums in the relevant museum. For example, there are already special programmes for children's birthday parties - designed for groups of one person or more. That made me wonder. How exactly does a single child celebrate their own birthday if they blow out a candle alone with a cardboard hat on their head? How should such an event be organised so that it is not the loneliest, but perhaps the most memorable birthday?
Our speaker Abraham Burickson asked himself a similar question back in 2001. As an architect and poet, he and his friends debated why artists always reproduce this ideal of being satisfied if their work reaches and touches at least one person in the audience. Why not reduce the audience to just one and do everything possible to make the experience optimal for that person? As a result, Abraham became co-founder and artistic director of the Odyssey Works collective. In his TEDx Talk, Abraham explains why he now believes more in the power of an experience than that of an object or work.
The works of the artists' collective, experiences that last days, weeks or even months, are very reminiscent of the film The Game (1997) with Michael Douglas, which is only four years older. By using an extremely detailed questionnaire to give a deep insight into their own lives, people apply to have an experience designed for them. What follows once a participant has been selected is extensive research in which the person's favourite books are read, favourite songs are listened to and relatives and friends are interviewed. This empathetic insight into someone else's life, through personal experience, building relationships and involving people in direct participation, is one of the secret recipes of the collective's successful works. This process is their way to identify which artistic interventions are the right ones. A book written just for one person? A private concert like the 1:1 CONCERTS? A specific place or a specific person who should be experienced? Immersive theatre, like Punch Drunk stages them, or even a game? Over the decades, Odyssey Works has become increasingly successful in achieving its goal of really touching that one person. Participants were not only moved, but often even made drastic changes in their lives. Job changes, relocations and partner changes are some of the evidences of the power of such an experience, which can be truly transformative.
Nowadays, experience design is described as an independent design discipline that focuses on a part of a person's life rather than simply enabling functions or solving problems. This is why it is not about UX (user experience design), for example, where the focus is usually on interfaces and the behaviours they encourage. However, because in experience design you cannot know how a person will perceive the experience in the respective context, you can only make an offer with an uncertain outcome. You merely create the circumstances in which an experience can happen. In his new book Experience Design - A Participatory Manifesto, Abraham describes the cornerstones of successful experience design based on his over 20 years of experience. In his impulse session for the relevant museum, he has given us a brief insight into this way of working, because he is deeply convinced that every museum can also enable a transformative experience in this way.
As an architect, he describes the beginning of a project (phase zero) as the search for clarification of the goal. Instead of asking what kind of house someone wants to build, it is better to explore what kind of life the clients hope to live in this house. So instead of setting a fixed form (such as a specific medium like film) and then looking for the content (the story), you should first ask what kind of experience you want to create. This could then require a story and this could fit well in a film, for example. Form follows function.
Abraham talks about the need to direct attention and uses the image of the frame. Just as the framing of the painting directs the focus to the work, people need a clear call to cation and roles so that they understand themselves as part of the experience. This can have different degrees of immersion. From the purely physical, because I am in a museum, for example, to the psychological, because exhibits stimulate me, through to an ontological immersion: a spiritual or content-related emotion that has the chance to transform meaning.
To achieve this ambitious goal, he utilises the full range of world building and narrative design. As a basic structure, the Hero's Journey flashes through again and again, which requires one thing above all: a clear transition from the known to the unknown world of the experience. He describes this other world in terms of eventness, through aspects like these: Is the place and the journey there defined? Is the chronological sequence of events structured and focussed on a memorable moment? Has it been clarified what you are allowed to do, such as standing at funerals and dancing at parties? And last but not least: Are there witnesses who can observe and sympathise with my experience?
In my mind, I once more imagine the child celebrating its birthday alone in the museum - but now I'm standing next to it. Together with all the other participants, I ask myself: How should a museum organise its offerings so that you can have an experience that is so powerful that it can actually change your life?
Thank you, Christoph, for the exciting thought experiment! If you would like to discuss experience design and possible answers to the questions posed, please feel free to contact us.
I am very much looking forward to sharing the "Museum Development Goals" project with you in the next issue of the Spotlighting Museums newsletter, which aims to make a contribution to measuring impact in a museum context.
With these prospects, I wish you a good summer!
Kind regards
Sandra Richter
NORDMETALL Foundation